Notfallvorsorge

Da uns vermehrt Anfragen über mögliche Szenarien und die daraus abgeleiteten Fragen zur Sicherstellung der Versorgung bei einem länger andauernden Stromausfall erreichen, haben wir uns entschlossen, die wichtigsten Punkte kompakt und verständlich zusammen zu fassen:

Krisenvorsorge
FAQ Lageeinschätzung Versorgungssicherheit Strom
Update

Zur Gefährdungsbeurteilung und Lageeinschätzung erreichen uns derzeit viele Anfragen.Es ist leider so, dass mit Ende der kooperativen Zusammenarbeit der Länder Europas die Wahrscheinlichkeit für einen langandauernden und großflächigen Stromausfall auf einer Skala von 0 (kein Ausfall) bis 10 (sicherer Ausfall) nicht mehr bei 0, sondern vielleicht eher bei 1, 2 oder 3 liegt.  Nachfolgend haben wir entsprechend des vorliegenden aktuellen Standes die wichtigsten Ergebnisse für Weilburg eingeordnet und soweit möglich, beantwortet:

1. Wie sieht es mit der Versorgungssicherheit Strom hier in Weilburg aus?

  1. In Weilburg fällt der Strom im statistischen Mittel im Durchschnitt 12 Minuten pro Jahr aus, das entspricht einer Verfügbarkeit von 99,98%. In Deutschland gab es noch nie einen längeren flächendeckenden Stromausfall. Damit das so bleibt, wurden umfangreiche Regeln etabliert, die im Fall von Instabilitäten zu zeitlich und räumlich begrenzten Abschaltungen führen würden, um einen Blackout zu vermeiden. Das größte Ereignis war seinerzeit im Münsterland, das jüngste im Ahrtal und es konnte jeweils wirksam Hilfe aus den umliegenden Regionen geleistet werden.
  2. In der Regel haben wir in Weilburg auch nach größeren Störungen innerhalb von einer halben Stunde für die meisten betroffenen Anschlüsse wieder Strom hergestellt. Weilburg bekommt seinen Strom aus zwei unabhängigen Regelzonen, die ganz Europa überspannen, nämlich von Tennet und Amprion. Die Stadtteile östlich der Lahn liegen mehrheitlich in der Tennet- Regelzone, werden über die Achse Borken- Gießen- Essershausen- Weilburg versorgt, die Stadtteile westlich liegen in der Amprion- Regelzone und werden über Beselich-Limburg-Taunusgruppe versorgt.
  3. Der Stromausfall in beiden Regelzonen zugleich wäre eine noch nie dagewesene nationale Katastrophe[1]. Dies würde einer europaweiten Lage entsprechen, würde den Stromausfall in ganz Europa umfassen.
    [1] „Die Wahrscheinlichkeit eines langandauernden und das Gebiet mehrerer Bundesländer betreffenden Stromausfalls mag gering sein. Träte dieser Fall aber ein, kämen die dadurch ausgelösten Folgen einer nationalen Katastrophe gleich.“  
    Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag
  4. Auch wenn seither ein solcher flächendeckender und länger andauernder Stromausfall unwahrscheinlich war, so ist dies -auch durch die jüngsten aggressiven Kriegshandlungen Russlands, dem de facto Ende der kooperativen Zusammenarbeit der Länder Europas, und die beispiellosen Anschläge auf die Pipelines Nordstream 1+2, die Verkehrsinfrastruktur Norddeutschlands, die Cyberattacken gegen Systemdienstleister wie Kisters oder Wilcken der letzten Tage - neuerdings leider auch als im Bereich des Möglichen liegend zu betrachten.
  5. Zum Hintergrund der aktuellen Versorgungssituation Strom in Deutschland:
    1. Die vier deutschen ÜNB haben letzte Woche die Ergebnisse des zweiten Netzstresstests (zweite Sonderanalyse Winter 22/23) vorgelegt:
      https://www.netztransparenz.de/Weitere-Veroeffentlichungen/Sonderanalysen-Winter-2022-2023
    2. Sowohl bei der Frage, ob wir genug Arbeit haben (Kilowattstunden, sog. Ressource Adequacy) als auch bei der Frage, ob wir die Kilowattstunden auch transportiert bekommen (Leistung, sog. Transmission Adequacy) sah es im Grunde ganz gut aus. Es müssten sich schon mehrere ungünstige Entwicklungen überlagern, damit es eng wird (s.u.).
  6. In aller Kürze:
    1. Der zweite Netzstresstest kommt zu dem Ergebnis, dass stundenweise krisenhafte Situationen im Stromsystem im Winter 22/23 zwar sehr unwahrscheinlich sind, aktuell aber nicht vollständig ausgeschlossen werden können.
    2. ÜNB empfehlen daher eine Reihe zusätzlicher Maßnahmen, damit es auch in diesen sehr unwahrscheinlichen Szenarien nicht zu einer kurzzeitigen Lastunterdeckung oder Stromausfällen aufgrund von Netz-Stresssituationen kommt. Die im Stresstest empfohlen Maßnahmen sind zum Teil bereits umgesetzt oder in Umsetzung, z.B. die Nutzung von Kraftwerksreserven und die Marktrückkehr von Kohlekraftwerken.
    3. Weitere Maßnahmen sind in der unmittelbaren Vorbereitung und werden mit einer dritten Novelle des Energiesicherungsgesetzes (EnSiG 3.0) umgesetzt, u.a. die zusätzliche Stromproduktion in Biogasanlagen, Maßnahmen zur Höherauslastung der Stromnetze/Verbesserung der Transportkapazitäten oder auch Möglichkeiten, die Lastflexibilität industrieller Großverbraucher zu verbessern.
    4. Zur Absicherung für den Notfall für den Winter 22/23 wird eine neue zeitlich und inhaltlich begrenzte AKW-Einsatzreserve aus den beiden südlichen Atomkraftwerken Isar 2 und Neckarwestheim geschaffen. Die beiden AKW Isar 2 und Neckarwestheim sollen bis Mitte April 2023 noch zur Verfügung stehen, um falls nötig, über den Winter einen zusätzlichen Beitrag im Stromnetz in Süddeutschland 2022/23 leisten zu können.
    5. Mit der Lösung zur Einsatzreserve soll den Risiken der Atom-Technologie und zugleich der Sondersituation im Winter 22/23 Rechnung getragen werden.
  7. Im Einzelnen:
    1. Ein 1. Stresstest wurde von März bis Mai 2022 durchgeführt, der zweite nun von Juli bis Anfang September.
    2. Hier der Link mit den Infos zum 2. ÜNB-Stresstest: BMWi Newsletter Energiewende - Zweiter Stresstest fürs Stromsystem (bmwi-energiewende.de). Anbei der dort verfügbare ausführliche Foliensatz.
    3. Auf Folie 10 finden sich die Annahmen zu den im Vergleich zum 1. Stresstest verschärften äußeren Bedingungen.
    4. Auf den Folien 62 und 63 dann die Empfehlungen der ÜNB.
    5. Im Vergleich zum 1. Stresstest (anbei auf Folie 10) sind die ÜNB von nochmals verschärften äußeren Bedingungen ausgegangen, z.B.
      1. einer geringeren Verfügbarkeit von franz. KKW (45 statt 51 GW),
      2. reduzierten Verfügbarkeit von Steinkohlekraftwerken aufgrund von Niedrigwasser eingeschränktem Kohletransport (-2 bis -3,75 GW statt 0)
      3. geringerer Verfügbarkeit der Netzreservekraftwerke (75 bis 50% statt 100)
      4. Lasterhöhung durch Heizlüfter (+1,5 bis +2,5 GW statt 0)
      5. höherem Gaspreis von 300 Euro/Megawattstunde (statt 200).
    6. Die Netzsituation wurde in insgesamt drei Szenarien untersucht, insbesondere auch das Zusammenspiel mit den europäischen Nachbarländern, da die Situation Deutschlands durch die geographische Lage und die Verbindungsleitungen zu elf europäischen Ländern besonders von der Entwicklung in Europa abhängt.
  8. Aufgrund der nahezu vollständigen Abhängigkeit des modernen zivilisierten Lebens von der Elektrizität, würden die Folgen eines langandauernden und großflächigen Stromausfalls zu einer Schadenslage führen, die Alle betrifft. Insbesondere Ausfälle der Informationstechnik sowie Wasser, Abwasser sowie Lebensmittel machen das Szenario schwerwiegend. Eine Beschreibung der Folgen eines langandauernden und großflächigen Stromausfalls findet sich im Bericht des Büros für Technikfolgeabschätzung beim Deutschen Bundestag, der als ein wichtiges Fazit ausführt, dass die flächendeckende und bedarfsgerechte Versorgung der Bevölkerung nicht mehr sicherzustellen ist; s. hier: untitled (bundestag.de) .
  9. Aus diesem Grunde ist es eine große und teure Aufgabe, sich lokal so vorzubereiten, dass ein deutschland- oder europaweiter Ausfall von mehreren Tagen bewältigt werden kann. Man wird selten eine vollständige Absicherung erreichen.
  10. Die Unternehmen der Energiewirtschaft haben in den letzten Jahren ein Stufenkonzept entwickelt, das z.B. bei einer drohenden Mangellage stufenweise Eskalation und kaskadenweise Abschaltungen vorsieht, um einem Blackout entgegenzuwirken. Für uns ist dies die momentan wahrscheinlichste Variante, d.h. es kommt selbst bei einer großen Lage zu zeitlich und regional begrenzten Abschaltungen, die lokal aushaltbar sind, aber das Gesamtsystem am Laufen halten.
  11. Wir bereiten uns deshalb u.a. so vor, dass wir zumindest für die ersten 72 h ohne notwendige externe Unterstützung bestimmte Mindestanforderungen erfüllen können und für Wasser und Gas als Kritische Infrastrukturen eine grundlegende Reaktionsfähigkeit erhalten bleibt. Wir haben uns insbesondere um die Trinkwasserversorgung und Kommunikation in den ersten 72h eines Ausfalls Gedanken gemacht und Vorsorge geschaffen, wie z.B. durch die Anschaffung von Aggregaten und die Abstimmung mit dem Katastrophenstab des Kreises zur Ersatz- Treibstoffversorgung und zur Kommunikation.

2. Ist es absehbar das es zu Abschaltungen kommen wird …wenn ja gibt es einen Ablaufplan, wo geregelt ist wie es mit den Informationen an die Firmen ablaufen soll??

  1. Wie der zweite Stresstest der ÜNB gezeigt hat, ist die Versorgungslage in Deutschland im Strombereich zumindest im kommenden Winter angespannt. Den Hintergrund bilden vor allem die Strombedarfe im benachbarten Ausland. Deshalb sind die von den ÜNB vorgeschlagenen Maßnahmen bis hin zu einem befristeten Streck- bzw. Weiterbetrieb der deutschen Kernkraftwerke zu unterstützen.
  2. Zugleich folgt daraus keine akute Gefahr eines Blackout (= plötzlicher flächendeckender anhaltender Stromausfall). Die Risiken eines solchen Szenarios sind abstrakt gegeben, aber heute nicht höher als früher und vor allem anlassbezogen, also etwa im Hinblick auf eine denkbare Cyber-Attacke.
  3. Mit den von den ÜNB vorgeschlagenen Maßnahmen sollte die Situation daher auch im anstehenden Winter beherrschbar sein, solange sich die Rahmenbedingungen nicht aufgrund anderer Faktoren deutlich verändern.
  4. Sollte es zu Engpässen kommen, die nicht durch Maßnahmen der Netzbetreiber aufgefangen werden können, wären kontrollierte Abschaltungen als Ultima Ratio vorzusehen. Auch dies ist aber etwas völlig anderes als ein Blackout,
  5. da es sich hierbei um vorangekündigte und kontrollierte Schritte handelt, die ihrer Dauer und ihrem Umfang nach begrenzt sind und auf die sich Betroffene entsprechend vorbereiten können.
  6. Entsprechend der gesetzlichen Regeln zur Mitwirkungspflicht (EnWG §§ 12 – 16, hier §13 (2)) werden wir von den vorgelagerten Netzbetreibern -soweit möglich- vorab informiert. Sofern es uns möglich ist, wollen wir unsere Kunden ebenfalls informieren.

3. Wie wahrscheinlich ist es das es zu Ausfällen ohne Vorwarnung kommen kann?

  1. Die vier deutschen Übertragungsnetzbetreiber (ÜNB) 50Hertz, Amprion, TenneT und TransnetBW haben im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) Sonderanalysen zur Stromversorgungssituation im Winter 2022/23 durchgeführt. Ziel der Analysen war es zu überprüfen, ob zu jeder Stunde des kommenden Winters die Stromnachfrage in Deutschland insgesamt gedeckt (Leistungsbilanz) und die Netzsicherheit (Transmission Adequacy) gewährleistet ist.
  2. In der Analyse wurden drei verschiedene Szenarien mit zunehmend kritischen Prämissen untersucht (Szenario +, ++, +++). Die Sonderanalysen kommen zu dem Ergebnis, dass in allen drei Szenarien die Versorgungssituation im kommenden Winter angespannt sein wird und die benötigte Last am europäischen Strommarkt nicht immer vollständig gedeckt werden kann. In den beiden kritischeren Szenarien (++) und (+++) treten in einigen Stunden Lastunterdeckungen auch in Deutschland auf. Auch die Netzsicherheit wird in den kalten Monaten auf die Probe gestellt. Die Analysen ergaben für alle drei Szenarien, dass fürs Management von Netzengpässen die inländischen Redispatch-Potenziale nicht zu jedem Zeitpunkt ausreichen werden.
  3. Sollte es zur Aufrechterhaltung der Netzstabilität unumgänglich sein, könnte es deshalb im kommenden Winter - als Ultima Ratio - zu kontrollierten, zeitlich und regional begrenzten Abschaltungen der Stromversorgung in einzelnen Regionen Deutschlands kommen. Diese kontrollierten Abschaltungen werden in der Regel angekündigt und erfolgen diskriminierungsfrei. Sie betreffen somit potentiell sowohl Unternehmen als auch Privathaushalte.
  4. https://www.netztransparenz.de/Weitere-Veroeffentlichungen/Sonderanalysen-Winter-2022-2023

Nähere Informationen entnehmen Sie bitte den beigefügten Dokumenten und Empfehlungen des Bundeamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK)